
Fussballbericht Sibiu
CSU Voinţa Sibiu – Săgeata Năvodari 2:0
06.07.2011, 18:00, Stadionul Municipal (Sibiu)
Liga B1/B2 Rumänien, Relegation zur 1. Liga
Sibiu (dt. Hermannstadt), die europäische Kulturhauptstadt 2007, hatte seit dem Abstieg des FC Inter Sibiu 1996 keinen erstklassigen Fussball mehr gesehen. Der Nachfolger von FC Inter Sibiu, FC Sibiu, wurde
2007 sogar wegen Insolvenz aufgelöst. In demselben Jahr wurde aber ein anderer Verein der Stadt von einem reichen Baustoffhändler reformiert und kräftig gesponsort: CSU Voinţa Sibiu.
Hatten wir im Jahr 2006 im Voinţa-Stadion eher noch einen heruntergekommenen Acker vorgefunden, der nur von Krähen bevölkert zu sein schien, begann genau hier der kometenhafte Aufstieg des
Vereins. Nach der Saison 2008/09 stieg der Verein in die 3. Liga auf, nach 2009/10 in die 2. Liga (Liga B2). Jetzt durfte auch im weitaus grösseren Stadion Municipal gespielt werden. Die Saison 2010/2011 wurde auf
einem beachtlichen vierten Platz abgeschlossen.
Nachdem ein Verein der 1. Liga keine Lizenz bekommen hatte, wurde vom Rumänischen Fussballverband beschlossen, einen weiteren Aufsteiger mittels Relegation zu ermitteln: CSU Voinţa Sibiu versus den
Tabellendritten der Liga B1, Săgeata Năvodari. Das Hinspiel in Năvodari am Samstag zuvor war mit einem langweiligen 0:0 ausgegangen und so ruhten jetzt alle Hoffnungen auf dem Rückspiel in
Sibiu.
„Wille“ (Voinţa) gegen „Pfeil“ (Săgeata), die Presse feierte CSU als Favoriten und die Anspannung war in der ganzen Stadt zu spüren! Tage vor dem Spiel wurde an einem Gebäude gegenüber
dem Stadion bereits in riesigen Lettern gesprüht: „Alle ins Stadion für unsere Stadt“. Wir nutzten den Vorverkauf am Tag vor dem Spiel und die Tribüne war bereits ausverkauft. Wir hatten für
umgerechnet 2,50 Euro pro Person noch Karten für die „Tribuna B“ bekommen. Vorsichtshalber fanden wir uns eine Stunde vor dem Spiel bereits am Stadion ein. Es herrschte ein fürchterliches
Gedränge vor den beiden Eingängen zur Tribüne, wo bereits Tausende der Abfertigung durch die Security entgegenströmten. Im Mittelbereich der Tribüne, der von mehreren
Bodybuildern bewacht wurde und augenscheinlich zum VIP-Bereich führte, wurde uns auf Vorzeigen unserer Karten, relativ unfreundlich, aber auf Deutsch die Auskunft „Andere Seite!“ erteilt. Vor dem
Tribüneneingang kauften wir noch rasch für weitere 2,50 Euro einem Strassenverkäufer eine bedruckte Fahne mit den grünen und weissen Farben des heimischen Clubs ab und machten uns
auf die Suche nach einem anderen Eingang. Vor der Nordkurve drängelten sich die singenden Anhänger der gegnerischen Mannschaft und wir hielten es für ratsam, unsere gerade erstandene Fahne
unter der Jacke zu verstecken. Vor der Gegengerade zeigte sich dasselbe Bild, ein furchtbares Gedränge, einzelne Personen kletterten sogar über den Zaun, fröhlich mit ihren Eintrittskarten winkend.
Wir hielten uns abseits und glücklicherweise wurde genau vor uns ein weiterer Eingang für Kinder geöffnet. Die armen Hilfspolizisten konnten den Ansturm nicht mehr kontrollieren und so wurden
auch wir durch den Eingang gequetscht.
Das Stadion ist für 14 000 Besucher ausgelegt, später wurden in der Presse von bis zu 20 000 gesprochen. Die Clubverantwortlichen hatten einfach soviel Karten wie möglich verkauft! Wir hatten
unseren Platz am obersten Rang der Betonstufen gefunden, links in der Nähe der Südtribüne, der „Peluza Sud“. Diesen Namen trägt auch die etwa 500 Mann starke Ultra-Fangruppierung, die
bereits vollzählig anwesend ihre Fahnen schwenkten und Gesänge intonierten. Wie bei jedem Spiel in Rumänien, hatten wir keinen Getränkestand ausfindig machen können, dafür
waren die meisten Besucher mit Tüten mit Sonnenblumenkernen ausgestattet. Fandevotionalien waren ausser bei den Ultras der Peluza Sud kaum auszumachen, vereinzelte grüne T-Shirts, Fanschals und
Fahnen, wie wir eine erstanden hatten, mischten sich mit Fussballbekleidung aller Art, von Schalke-Trikots über Real-Madrid-Shirts bis zu deutschen WM-Trikots. Auch scheinen Vuvuzelas in deutschen Farben
dankbare Abnehmer in Sibiu gefunden zu haben. Neben einer grossen, schwarz-rot-weissen Fahne im Fanblock, waren auch vereinzelt Schals in diesen Farben auszumachen. Dabei handelt es sich um die Farben des
untergegangenen FC Sibiu.
Vor dem Spiel gab es noch eine Darbietung von Fahnenschwenkern, die im mittelalterlichen Wams gekleidet die alten Stadtwappen von Hermannstadt schwenkten. Als die Spieler aus einem
unterirdischen Tunnel am Rand des Spielfelds auftauchten, ergoss sich von den Rängen der Peluza Sud ein Schnipselregen über das ganze Stadion, grüne Bengalos wurden gezündet und der
Fanblock bildete mit grünen Kartons eine homogene Fläche.
Endlich begann das Spiel! Alle Aktionen der Heimmannschaft wurden von den Besuchern mit Schlachtrufen begleitet, die Stimmung war von Anfang an am Überkochen! In den ersten 25 Minuten entwickelte sich
ein ausgeglichenes Mittelfeldspiel, keine der Mannschaften konnte nennenswerte Aktionen verzeichnen. Inzwischen hatten auch alle Leute ihren Sitzplatz erreicht und das ganze Stadion feierte mit einer 5-fachen
La-Ola-Welle, die vom Fanblock der Peluza Sud ausgehend sogar die ca. 250 gegnerischen Fans mitriss und das ganze Stadion umrundete. Die Spieler von Voinţa kamen jetzt richtig in Fahrt und stürmten
wiederholt auf das gegnerische Tor. So wurden die Fans in der 36. Minute nach einer Ecke für die Grün-Weissen mit einem Tor durch Forika belohnt. In den letzten Minuten der ersten Halbzeit konnten die
„Pfeile“ aus Năvodari die Partie etwas verschieben und platzierten mehrere Schüsse aufs Tor, die aber zum Glück weit daneben gingen. In solchen, besonders spannenden Sekunden war das Schreien
und Singen verstummt und wir konnten das Knistern der Spannung buchstäblich hören, in Form von tausendfachem Knacken von Sonnenblumenkernen!
In der Halbzeitpause kamen wieder die Fahnenschwenker, das Publikum telefonierte eifrig und Leute winkten sich zu. Einige wenige findige Personen hatten sich im benachbarten Park Becher mit Cola und Bier
geholt.
Nach dem Anpfiff der zweiten Halbzeit wurde die Heimmannschaft wieder kräftig mit Gesängen und Rufen wie „Hai Sibiu“ und „Voinţa“ angefeuert. Wieder umbrandete eine 5-fache La-Ola-Welle das
Stadion. Jetzt kamen die Pfeile besser ins Spiel und das Ganze gestaltete sich ausgeglichen. Dreimal schossen die in blau-weiss gekleideten Gäste knapp übers Tor und einmal erzielte die
Heimmannschaft einen Lattentreffer. Der Trainer von Năvodari provozierte eine Schubserei im Bereich der Reservebänke. Als Reaktion schallte es von der Gegengerade unisono „Schämt
euch!“. Überhaupt waren wir überrascht, dass die sonst in rumänischen Stadien üblichen Flüche und Beleidigungen ausblieben. Endlich, in der 88. Minute, fiel das erlösende 2:0
durch Martinescu und die Ränge waren nicht mehr zu halten! Vorwiegend Ultras aus der Südkurve sprangen über die Absperrungen und wollten nach dem Abpfiff auf dem Rasen feiern, wurden aber
rüde von den Security-Kräften zurückgedrängt. Das waren die ersten negativen Momente in einem so überragenden und friedfertigen Spiel. Ein dicker Mann mit Fotoapparat wurde sogar
mit dem Schlagstock bedroht.
Mehrere Stimmen riefen „Jetzt kommt Steaua!“, das ganze Stadion war im Freudentaumel. Der „Wille“ hatte über den „Pfeil“ gesiegt, Sibiu ist nach 15 Jahren wieder erstklassig! Nie haben wir eine so
fröhliche, ausgelassene Stimmung in einem komplett überfüllten Stadion erlebt.
Karin & Schneller
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Bericht in "11 Freunde", Oktober 2011
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